Raumordnungsrecht

Das städtebauliche Planungsrecht wie auch die Ebenen des Raumordnungsrechts werden unter dem Begriff „Raumplanung“ zusammengefasst. Das Recht der Raumplanung umfasst alle Normen, die „hoheitlich die förmlich-systematische Nutzung des Raumes unter Beachtung sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und finanzieller Gegebenheiten festlegen“. Dabei muss man berücksichtigen, dass das Rechtsgebiet der Raumplanung nicht in einem einzigen Gesetz zusammengefasst ist, sondern – den föderalistischen Strukturen der Bundesrepublik folgend – in vier Ebenen zu unterscheiden ist:

 Neben dem Raumordnungsrecht des Bundes gibt es in allen Ländern eine eigenständige Raumordnung. Darüber hinaus gibt es noch eine Regionalplanung wie – auf kommunaler Ebene – die Bauleitplanung (Ortsplanung). Die kommunale Leitplanung ist Teil dieses Planungsverbunds. Als fünfte Stufe lässt sich die Raumordnung in der europäischen Gemeinschaft und im größeren europäischen Raum bezeichnen, die nach dem Bundesraumordnungsgesetz ebenfalls zu beachten ist.

Der Begriff der Raumordnung ist gesetzlich nicht definiert. Allgemein wird unter Raumordnung die zusammenfassende, überörtliche und überfachliche Planung des Raumes verstanden. Sowohl das Raumordnungsgesetz des Bundes (ROG) als auch die Planungsgesetze der Länder setzen den Begriff voraus und beschränken sich im Wesentlichen darauf, die Aufgaben, Leitvorstellungen, Ziele und Grundsätze der Raumordnung zu bestimmen.

Die Raumordnung ist zusammenfassend und überfachlich, soweit sie die raumrelevanten Aktivitäten des Staates und der Kommunen auf unterschiedlichen Feldern, etwa des Städtebaus, der regionalen Wirtschaftspolitik, der Landwirtschaftspolitik, des Verkehrswesens, des Umweltschutzes etc. auf einander abstimmen und zu einem widerspruchsfreien Konzept zusammenführen soll. Die Raumordnung ist auch überörtlich. Anders als die Bauleitplanung der Gemeinden ist sie nicht auf die räumliche Gestaltung einer Gemeinde beschränkt, son-dern gemeindegebietsübergreifend. Dementsprechend heißt es in § 1 Abs. 1 S. 1 ROG (Aufgabe und Leitvorstellung der Raumordnung): 

„Der Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und seine Teilräume sind durch zusammenfassende, überörtliche und fachübergreifende Raumordnungspläne, durch raumordnerische Zusammenarbeit und durch Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern.“

Gegenüber der Bauleitplanung und den gebietsbezogenen umweltrechtlichen Fachplanungen hat die Raumordnung eine zentrale Integrationsfunktion. Das Raumordnungsrecht koordiniert also die raumbezogenen Maßnahmen der verschiedenen Träger hoheitlicher Gewalt überörtlich. 

Neben der Raumordnung gehört zur Raumplanung auch die raumrelevante Fachplanung. Diese hat die planerische Gestaltung des Raumes unter einem Sachgesichtspunkt (z.B. Wasserwirtschaft) zum Inhalt, während die Raumordnung „übersachlich“ ausgerichtet ist. Ziel der Raumordnung ist es, die unterschiedlichen Interessen und Belange auszugleichen, damit sich die einzelnen Fach- und Ortsplanungen im Rahmen der raumordnerischen Gesamtkonzeption entfalten können.

Einen Überblick über das System der Raumplanung gibt das Schaubild „Raumplanung“. Wie man auf diesem Schaubild sehen kann, gibt es insgesamt vier Planungsstufen, die sich – wenn auch auf verschiedenen Ebenen – jeweils auf denselben Raum beziehen. Damit sich die jeweiligen Raumpla-nungen nicht widersprechen oder aushebeln, legen das Bundesraumordnungsgesetz (ROG) wie auch das Landesplanungsgesetz, ergänzt durch das Baugesetzbuch (BauGB) ein in sich geschlossenes Verfah-rens- und Rechtssystem zugrunde. Hierdurch werden die Planungen auf der unteren Stufe, d.h. der kommunalen Bauleitplanung (Ortsplanung), so mit den Planungen der jeweils höheren Stufen so verzahnt, dass diese nach dem System übergeordneten Planung nicht von einer Planung auf unterer Stufe beeinträchtigt bzw. ausgehebelt werden können. Auf der anderen Seite soll aber auch sichergestellt sein, dass die Kommunen durch die staatliche Raumordnung in ihrer verfassungsrechtlich garantierten Planungshoheit (s.o.) nicht beeinträchtigt werden.

Im Rahmen der Föderalismusreform ist das Grundgesetz im Hinblick auf das Raumordnungsrecht geändert worden. Anstelle der bis dahin geltenden Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes wurde im Jahre 2006  eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG) eingeräumt. Das Raumordnungsgesetz ist daraufhin im Jahre 2008 neu gefasst und an das geänderte Grundgesetz angepasst worden. Den Ländern stehen nunmehr Abweichungsmöglichkeiten zur Verfügung. Davon hat NRW auch Gebrauch gemacht. Zudem sind mit dieser Novellierung des ROG auch die Grundsätze der Raumordnung überarbeitet (§ 2 ROG) und insbesondere das Abwägungsgebot in § 7 Abs. 2 ROG neu formuliert worden. 

Neben einigen Änderungen hat das ROG einige Regelungen auch klarer formuliert. Dies gilt insbesondere für die Vorschriften über die Bindungswirkungen der Erfordernisse der Raumordnung (§§ 4, 5 ROG) und die Vorschriften über die Raumordnungspläne und die Verfahrensregelungen des Raumordnungsverfahrens (§ 15 f. ROG).

I. Grundsätze der Raumordnung

Das Raumordnungsrecht hat zum Ziel, die unterschiedlichen – individuellen und kollektiven – privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Belange und Ansprüche an die Raumnutzung aufeinander abzustimmen. Dabei bezieht sich die Raumordnung sowohl auf die vorhandenen als auch auf die zukünftigen bzw. anzustrebenden Gegebenheiten. Leitvorstellungen für eine übergreifende Raumordnung sollen entwickelt und durchgesetzt werden, um raumbedeutsame Maßnahmen der verschiedenen staatlichen (Bund und Länder) und kommunalen Träger zu koordinieren und aufeinander abzustimmen. Denn: Raumordnung ist „zusammenfassende, übergeordnete Planung und Ordnung des Raumes“ (s.o.) und soll die vielfältigen Fachplanungen, die sich im Gegensatz zur Gesamtplanung auf ein besonderes Vorhaben beschränken, zusammenfassen und aufeinander abstimmen.

Raumordnung und raumrelevante Fachplanung sind die Vorstufen der (kommunalen) Bauleitplanung und insofern auch für das Baurecht maßgeblich. Ist die Raumordnung nicht bis zur Novellierung des Raumordnungsgesetzes (ROG) geltenden 15 Grundsätze der Raumordnung sind nunmehr auf acht Grundsätze reduziert worden, § 2 Abs. 2 ROG. Diese lauten:

1.  Nachhaltige Raumentwicklung: u.a.  Streben nach ausgeglichenen sozialen, infrastrukturellen, wirtschaftlichen, ökologischen und kul-turellen Verhältnissen,

2.  raumstrukturelle Steuerung im Verhältnis zwischen Gesamtraum und Teilräumen sowie die Beziehungsgefüge zwischen Siedlungs- und Freiraumstruktur,

3.  Gewährleistung der Daseinsvorsorge mittels Dienstleistungen und Infrastruktur,

4.  Raumentwicklung im Hinblick auf eine langfristig wettbewerbsfähige und räumlich ausgewogene Wirtschaftsstruktur,

5.  Erhaltung und Entwicklung von Kulturlandschaften und Förderung der Pflege von Natur und Landschaft,

6.  Gewährleistung der ökologischen Funktionen des Raums hinsichtlich Böden, Wasserhaushalt, Tier- und Pflanzenwelt und Klima, 

7.  Gewährleistung nationaler Verteidigungs- und Zivilschutzerfordernisse sowie die 

8.  Förderung der räumlichen Integration in den Raum der europäischen Union, auch im Hinblick auf den Ausbau und die Gestaltung der transeuropäischen Netze und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

II. Instrumente der Raumordnung

Zu den zentralen Aufgaben der Raumordnung gehört es, Raumord-nungspläne aufzustellen. Die darin festgelegten Raumordnungsziele sind einerseits Vorgabe die kommunale Bauleitplanung, andererseits müssen diese in den fachlichen Planfeststellungsverfahren sowie bei etwaigen Genehmigungsverfahren für raumbedeutsame Planungen bzw. Maßnahmen Berücksichtigung finden. Bei konkreter Umsetzung dieser Raumordnungspläne haben die zuständigen Landesplanungsbehörden in einem in § 15 ROG geregelten Raumordnungsverfahren zu prüfen, inwieweit raumbedeutsame Einzelvorhaben (z.B. die Errichtung einer Fernstraße) mit dem raumordnerischen Vorgaben übereinstimmen.

Alle Planungsträger sind verpflichtet, sich im Hinblick auf ihre Planungen und Maßnahmen abzustimmen (§ 13 ROG). Dies gilt nicht nur für Bund, Länder und Gemeinden, sondern z.B. auch für Stiftungen des öffentlichen Rechts und die in diesem Bereich tätigen Personen des Privatrechts.

Bei der Bauleitplanung müssen die Gemeinden andere raumbedeutsame Vorhaben berücksichtigen, § 1 Abs.4 BauGB. Dies gilt selbst für existierende Bauleitpläne, die unter Umständen geändert werden müssen, wenn sie die konkrete Realisierung der Raumordnung vereiteln würden. Über § 1 Abs. 4 BauGB kann demzufolge – und zwar in verfassungsrechtlich zulässiger Weise – von staatlicher Seite in die gemeindliche Planungshoheit eingegriffen werden, wenngleich einem solchen Eingriff verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind (Erfordernis überörtlicher schutzwürdiger Interessen).

Dies soll am Beispiel großflächiger Einzelhandel- und Factory-Outlet-Center veranschaulicht werden. Bei der Errichtung von Einzelhandelsgroßbetrieben kommt es – aus raumordnerischer Sicht – darauf an, dass derartige Vorhaben an einem zentralen Ort errichtet werden. Darüber hinaus soll das Einzugsgebiet des jeweiligen Betriebes den zentralörtlichen Verflechtungsbereich der Ansiedlungsgemeinde nicht wesentlich überschreiten (Kongruenzgebot). Zudem soll der Mikrostandort in der Gemeinde städtebaulich integriert und eine verbrauchernahe Versorgung durch den großflächigen Einzelhandel nicht gefährdet werden.

Zentraler Anknüpfungspunkt der raumordnerischen Wertung großflächiger Einzelhandelsbetriebe ist das Zentrale-Orte-System der Raumordnung, wie es in § 13 Abs. 5 Satz. 1 Nr. 1 lit. b ROG festgelegt ist. Hintergrund dieses raumordnerischen Prinzips ist, dass bei einer Überschreitung des – landesplanerisch festgelegten – Versorgungsbereichs der Standortgemeinde (des großflächigen Einzelhandels) die Funktionalität benachbarter Versorgungsbereiche – und damit letztlich auch eine verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung – gefährdet sein könnte. Vor diesem Hintergrund kann es raumordnerisch gerechtfertigt sein, städtebauliche Auswirkungen von Factory-Outlet-Centern – insbesondere wegen ihrer Größe, der Relevanz ihres Kernsortiments und der Reichweite ihres Einzugsbereichs – landesplanerisch strengeren Sonderregelungen zu unterwerfen und diese nur in Oberzentren in städtebaulich integrierten Standorten zuzulassen.

III. Rechtsschutz gegenüber Raumordnungsplänen

In Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber Raumordnungsplänen und anderen Maßnahmen der Landesplanung muss zwischen dem Rechtsschutz von Personen des Privatrechts und dem von Kommunen unterschieden werden. Für Personen des Privatrechts kommen lediglich verwaltungsrechtliche Normenkontrollverfahren oder eine Inzidentkontrolle (s.u.) in Betracht. Demgegenüber haben die Kommunen weitreichendere Möglichkeiten. Neben dem Verwaltungsrechtsweg kann den Kommunen auch der Gang vor das Landesverfassungsgericht oder gar das Bundesverfassungsgericht (Art. 28 GG) offenstehen.