Rechtsschutz

Der Rechtsschutz im Oberschwellenbereich ist von dem im Unterschwellen­bereich zu unterscheiden. Während es oberhalb der Schwellenwerte seit längerer Zeit auch effektiven Primärrechtsschutz gibt, war Rechtsschutz des Bieters im Unterschwellenbereich lange Zeit jedenfalls faktisch auf den Sekundärrechts­schutz beschränkt (vgl. hierzu Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte), was vor allem damit zusammen hing, dass die Bundesländer für den Unterschwellenbereich erst sukzessive die für den effektiven Primärrechtsschutz elementare Wartefrist gesetzlich normiert haben.

Primärrechtsschutz dient der Durchsetzung des primären Ziels, den Auftrag zu bekommen. Demgegenüber ist Ziel des Sekundärrechtsschutzes, den dem Bieter wegen eines Fehlers im Vergabeverfahren entstandenen Schaden zu ersetzen.

Das primäre Rechtsschutzziel wird im Oberschwellenbereich vor den mit dem Vergaberechtsänderungsgesetz geschaffenen Nachprüfungsbehörden verfolgt, während die Frage, ob und in welcher Höher ein Bieter vom öffentlichen Auftraggeber Schadensersatz verlangen kann, vor den ordentlichen Gerichten zu klären ist. Im Unterschwellenbereich ist auch der Primärrechtsschutz vor den Zivilgerichten geltend zu machen (vgl. hierzu den Beitrag).

Rechtsschutz im Oberschwellenbereich

Nach § 97 Abs. 6 GWB haben Bieter Anspruch darauf, dass die Auftraggeber bei europaweiten Vergaben (=Oberschwellenbereich) die vergaberechtlichen Bestimmungen einhalten. Damit korrespondiert ein effektiver Primärrechtsschutz, der durch Informations- und Wartepflichten des Auftraggebers (§ 134 GWB) und ein formalisiertes Vergabenachprüfungsverfahren von Vergabekammern und Oberlandesgerichten im GWB sichergestellt ist. Unabhängig davon können Bieter Schadenersatzansprüche geltend machen, wobei die Feststellungen für die Zivilgerichte, vor denen die Schadenersatzansprüche geltend zu machen sind, verbindlich sind.

Der Rechtsschutz im Oberschwellenbereich ist in §§ 155 ff. GWB geregelt. Danach sind zunächst die Vergabekammern anzurufen (§§ 155 bis 159 GWB), gegen deren Entscheidungen sofortige Beschwerde vor dem Vergabesenat bei dem für den Sitz der Vergabekammer zuständigen Oberlandesgericht (§§ 171 ff. GWB) eingelegt werden kann.

Primärrechtsschutz

Vergabeverfahren, bei denen der Auftragswert die EU-Schwellenwerte für Lieferungen und Leistungen i. H. v. 215.000 Euro sowie bei Bauleistungen von 5.382.000 Euro erreicht oder überschreitet (Oberschwellenbereich), können auf Antrag in einem formellen Verfahren vor der zuständigen Nachprüfungsinstanz auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden (Nachprüfungsverfahren). Während des Nachprüfungsverfahrens darf der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag nicht erteilen.

Vergabekammern sind keine Gerichte, sondern unabhängig agierende, gerichtsähnlich ausgestattete Behörden, die Verwaltungsakte erlassen dürfen. Diese bestehen aus einem Vorsitzenden und einem hauptamtlichen Beisitzer (von denen einer die Befähigung zum Richteramt haben soll) sowie einem ehrenamtlichen Beisitzer, § 157 Abs. 2 GWB.

Die Einrichtung der Vergabekammern für den Bund erfolgt beim Bundeskartellamt (§ 158 GWB). Derzeit bestehen dort zwei Vergabekammern. Für die Länder wird für Einrichtung, Organisation und Besetzung auf landesgesetzliche Vorgaben verwiesen, § 158 Abs. 2 GWB. In den Ländern wurden die Vergabekammern überwiegend beim Wirtschaftsministerium oder den Landesregierungen bzw. Bezirksregierungen eingerichtet.

Vergabekammern in NRW

In NRW wurden für den Bereich der Aufträge der Landesbehörden und Kommunen in NRW als Nachprüfungsinstanz die Vergabekammern Westfalen und Rheinland eingerichtet.

Die räumliche Zuständigkeit der Vergabekammer Westfalen erstreckt sich auf die Regierungsbezirke Münster, Detmold und Arnsberg.

Die Vergabekammer Rheinland deckt die Regierungsbezirke Köln und Düsseldorf ab.

Nachprüfungsanträge sind also an die Vergabekammer Westfalen bzw. an die Vergabekammer Rheinland zu richten.

Gegen die Entscheidungen der Vergabekammern steht den Beteiligten das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zum Vergabesenat des zuständigen Oberlandesgerichtes zu. Erst in dieser „zweiten Instanz“ vor einem bei einem Oberlandesgericht ansässigen „Vergabesenat“ erfolgt also eine gerichtliche Überprüfung (drei Berufsrichter).

In beiden (Nachprüfungs-)Instanzen gilt der Untersuchungsgrundsatz.[1] Das Vergabeverfahren ist somit vollumfänglich zu prüfen. Dies hat zur Folge, dass auch Gesichtspunkte bzw. Vergabefehler, die von den Parteien (insbesondere dem Antragsteller) nicht gerügt worden sind, zur Sprache kommen und geeignete Maßnahmen (zur Herstellung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens) getroffen werden können, § 168 Abs. 1 S. 1 GWB bzw. § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 Abs. 1 GWB.

Verfahren vor der Vergabekammer

Antrag

Voraussetzung für das Tätigwerden einer Nachprüfungsinstanz ist ein zulässiger (schriftlicher) Antrag durch ein Unternehmen, § 160 Abs. 1 GWB,[2] der unverzüglich zu begründen ist. Zwar muss die Begründung nicht mit dem Antrag erfolgen (§ 161 Abs. 1 GWB). Dennoch sollte dies stets erfolgen, da die Übermittlung und damit die Auslösung der Zuschlagssperre (§ 169 Abs. 1 GWB; s.u.) eine summarische Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit voraussetzt (§ 163 Abs. 2 GWB).

Ein Vergabenachprüfungsantrag ist nur zulässig, wenn das Vergabeverfahren noch nicht mit Zuschlagserteilung abgeschlossen ist. Nach Zuschlagserteilung ist ein Nachprüfungsverfahren nur noch zulässig, wenn der Auftrag im Wege einer sog. „de facto‟-Vergabe, d.h. ohne ordnungsgemäßes Vergabeverfahren bzw. ohne Vorinformation gem. § 134 GWB erteilt worden ist.

Für diesen Fall regelt § 135 GWB, dass die erteilten Aufträge unwirksam sind, wenn die Unwirksamkeit unter den Voraussetzungen des § 135 Abs. 2 GWB in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wurde, § 135 Abs. 1 GWB. Die Unwirksamkeit des Vertrages kann allerdings sechs Monate nach dem Vertragsschluss nicht mehr festgestellt werden und somit auch nicht mehr eintreten. Die Verträge gelten dann als wirksam.

Antragsbefugt ist nach § 160 Abs. 2 GWB jedes Unternehmen oder jede Bietergemeinschaft,

  • das/die ein Interesse am Auftrag hat,
  • eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht und
  • darlegt, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschrift ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages

Zulässigkeit ist ein Antrag nur, wenn der Antragsteller den Vergabefehler rechtzeitig gerügt hat (§ 160 Abs. 3 GWB). Dies muss im (Nachprüfungs-)antrag dargelegt werden, § 161 Abs. 2 GWB.

Da eine Verletzung der Rügeobliegenheit nur verfahrensrechtliche Folgen hat, kann der Unternehmer, der nicht rechtzeitig gerügt hat, durchaus noch Schadensersatzansprüche geltend machen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht würde das Unterlassen der Rüge bzw. das Fehlen der Darlegung im Vergabenachprüfungsantrag dazu führen, dass dieser (im Regelfall) als offensichtlich unzulässig abgewiesen wird. In diesem Fall würde der Vergabenachprüfungsantrag dem Auftraggeber erst gar nicht zugestellt (§ 163 Abs. 2 S. 1, 3 GWB).

Mit der Vergaberechtsnovelle 2016 wurde die Rügeobliegenheit allerdings deutlich entschärft. Neben den bisher schon unproblematischen Fällen der Rügen bis zum Bewerbungstermin bzw. Angebotsabgabetermin (§ 160 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 GWB) muss nun auch ein im laufenden Verfahren bemerkter Vergabeverstoß nicht mehr unverzüglich gerügt werden. Vielmehr genügt es nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB n.F., den Vergabeverstoß binnen 10 Kalendertagen ab Kenntnis zu rügen.

Die Darlegungs- und Feststellungsbeweislast dafür, dass und wann der Unternehmer positive Kenntnis hatte und dass aus diesem Grunde die Rüge nicht unverzüglich war, trägt der Auftraggeber. Der Unternehmer bzw. Bieter muss hingegen beweisen, dass die im Nachprüfungsantrag dargelegte Rüge tatsächlich erfolgt ist.

Folgen eines zulässigen Nachprüfungsantrages

Ist der Nachprüfungsantrag nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet (s.o.), übermittelt ihn die Vergabekammer an den Auftraggeber, § 163 Abs. 2 S. 1 GWB.

Damit wird die sog. Zuschlagssperre ausgelöst. Dem Auftraggeber ist es nunmehr verboten, den Zuschlag zu erteilen (§ 169 Abs. 1 GWB). Das Zuschlagsverbot endet erst mit Ablauf der Beschwerdefrist. Damit ist die Vergabe für mindestens 7 Wochen (5 Wochen Regeldauer eines Vergabekammerverfahrens – § 167 Abs. 1 GWB – zzgl. 2 Wochen Beschwerdefrist, § 172 GWB) blockiert. Ein dennoch erteilter Zuschlag wäre nichtig. Dem Auftraggeber bleibt somit nur die Möglichkeit zu beantragen, eine vorzeitige Zuschlagserteilung zu gestatten.

Mit Zustellung des Nachprüfungsantrages wird der Auftraggeber aufgefordert, die Vergabeakten sofort zu übergeben, § 163 Abs. 2 S. 4 GWB. Der Auftraggeber ist dann verpflichtet, die das Vergabeverfahren betreffenden Unterlagen der Vergabekammer vollständig und im Original auszuhändigen (insbesondere auch Schriftverkehr, Telefonnotizen und Aktenvermerke).

Dies muss auch sofort erfolgen, d.h. schnellstmöglich. Kommt der Auftraggeber seiner Pflicht nicht „sofort“ nach, ist die Vergabekammer befugt, die Amtsräume des Auftraggebers zu durchsuchen und die Vergabeakten zu beschlagnahmen (§ 163 Abs. 2 S. 5 i.V.m. §§ 57–59 Abs. 1–5 GWB).

Da durch einen Nachprüfungsantrag in der Regel die Interessen anderer Bieter, insbesondere des- bzw. derjenigen Bieter(s) betroffen sind, der/die nach Auffassung des Auftraggebers den Zuschlag erhalten soll, sind diejenigen Bieter, deren Interessen durch die Entscheidung der Ver­gabekammer berührt würden, beizuladen. Diese sind dann Beteiligte des Vergabenachprüfungsverfahrens und haben auch ein Einsichts­recht in die Vergabeakten, § 165 GWB.

Dieses Akteneinsichtsrecht ist Ausfluss des Transparenzgebots (§ 97 Abs. 1 GWB; s.o.) und hat zentrale Bedeutung für einen effektiven Rechtsschutz. Von diesem Akteneinsichtsrecht sind allerdings nur die entscheidungsrelevanten Bestandteile der Akten gemeint, deren Kenntnis zur Wahrnehmung effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist. Die Grenze ist hier der Geheimnisschutz und die Wahrung von Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, § 165 Abs. 2 GWB.

Begründetheit

Der Vergabenachprüfungsantrag ist begründet, wenn der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist, § 168 Abs. 1 S. 1 GWB. Allerdings kann sich ein Bieter nicht auf Regelungen berufen, die unter keinem Gesichtspunkt nicht zumindest auch als bieterschützend angesehen werden können. Dies sind etwa Regelungen in der VOB/A, die als bloße Ordnungsvorschriften anzusehen sind. Es kommt entscheidend darauf an, ob es sich um Bestimmungen über das Vergabeverfahren (i.S. des § 97 Abs. 6 GWB) handelt.

Beschränkung des Rechtsschutzes auf die Verletzung bieterschützender Vorschriften

Um eine ordnungsgemäße, d.h. dem Vergaberecht entsprechende Durchführung von Vergabeverfahren sicherzustellen, haben Unternehmen Anspruch auf Einhaltung der Vergabevorschriften, § 97 Abs. 6 GWB. Aus § 97 Abs. 6 GWB ergibt sich allerdings nicht, welche Vergaberegeln erfasst werden. Ob sich ein Antragsteller auf sämtlichen Vergabevorschriften berufen kann oder nur auf solche, die sog. subjektive Rechte gewähren, ist streitig.[3]

Berücksichtigt man die Intentionen des Gesetzgebers, ein Ver­gaberechtsregime durchzusetzen, wird man Regelungen des Vergaberechts wohl nur dann als nicht schützenswert einstufen können, wenn ein Antragsteller bzw. Bieter unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt von der Norm, auf die er sich beruft, geschützt wird.[4] Auf Regelungen, die nicht dem Vergaberecht angehören, wie z.B. des KrWG, können sich die Unternehmer hingegen grundsätzlich nicht berufen, es sei denn, es findet sich im Vergaberecht eine – Drittschutz begründende – Anknüpfungsnorm, die Anlass für eine inzidente Prüfung dieser außervergaberechtlichen Norm gibt.[5]

Daraus ergibt sich, dass auch Verletzungen von Regelungen außerhalb des Vergaberechts gerügt werden können, soweit sie Anknüpfungspunkt für Grundprinzipien des Vergaberechts – das Wettbewerbsprinzip, das Transparenzgebot oder das Gleichbehandlungsgebot – sind. Zudem kann ein Vergabenachprüfungsantrag auch begründet sein, wenn die behauptete Rechtsverletzung zwar nicht vorliegt, die Vergabekammer jedoch – als Folge des Untersuchungsgrundsatzes (s.o.) feststellt, dass andere schwere Vergabefehler vorliegen. Diese müssen von der Vergabekammer von Amts wegen aufgegriffen werden.

Ein solches Vorgehen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Fehler so schwerwiegend ist, dass ein vergaberechtskonformer Abschluss des Verfahrens gar nicht mehr möglich ist. Das ist beispielsweise bei intransparenten Zuschlagskriterien der Fall.

Die Vergabekammer entscheidet durch Beschluss, § 168 Abs. 3 S. 1 GWB, der die rechtliche Qualität eines Verwaltungsaktes hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage und damit auch etwaiger Ermessensfehler[6] ist die letzte mündliche Verhandlung im Vergabenachprüfungsverfahren.

Ein Vergabenachprüfungsantrag hat jedoch nur dann auch Erfolg, wenn der Antragsteller – neben der Feststellung der Rechtsverletzung – durch den Vergaberechtsverstoß in seiner Wettbewerbsposition negativ beeinträchtigt worden sein kann. Wirkt sich der Vergabefehler auf dessen Stellung nicht aus, weil dessen Angebot beispielsweise auch ohne den Vergabefehler die erste Rangstelle und damit den Zuschlag erreichen kann, bleibt der Nachprüfungsantrag im Ergebnis erfolglos.

Dieser Gesichtspunkt hat auch zur Folge, dass in dem Fall, dass eine Fortführung des Vergabeverfahrens mit abschließendem Zuschlag wegen der Schwere des Vergabefehlers unmöglich erscheint, die Vergabekammer das Vergabeverfahren auch selbst aufheben darf, wenn keine andere Lösung möglich erscheint.

Sofortige Beschwerde

Statthaftigkeit / Zulässigkeit

Gegen Entscheidungen einer Vergabekammer, mit denen die erste Instanz des Vergabenachprüfungsverfahrens abgeschlossen werden, können Antragsteller, Auftraggeber und Beigeladende sofortige Beschwer­de zum Vergabesenat erheben, § 171 Abs. 1 GWB, die zugleich zu begründen ist (§ 172 Abs. 2 GWB).

Die (nicht verlängerbare) Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beträgt zwei Wochen (§ 172 Abs. 1 GWB). Sie beginnt entweder mit der ordnungsgemäßen Zustellung der Entscheidung der Vergabekammern oder dem Ablauf der Fünf-Wochen-Frist gem. § 167 Abs. 1 GWB, die die Vergabekammer für den Vergabenachprüfungsantrag zur Verfügung hat.

Wirkungen einer zulässigen Beschwerde

Eine zulässige sofortige Beschwerde hat nur für zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist aufschiebende Wirkung gegenüber dem Beschluss der Vergabekammer (§ 173 Abs. 1 S. 2 GWB).

Damit verlängert sich das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 GWB für zwei weitere Wochen und betrifft den Fall, dass der Vergabenachprüfungsantrag von der Vergabekammer zurückgewiesen wurde. Damit entfällt die aufschiebende Wirkung des Vergabenachprüfungsantrages zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 173 Abs. 1 S. 2 GWB).

Damit wird einerseits mit einem in zweiter Instanz fortgesetzten Vergabenachprüfungsverfahren der Zuschlag nicht weiter verhindert, andererseits wird dadurch der primäre Rechtsschutz des Antragstellers nur noch für zwei weitere Wochen gewahrt. Ein Antragssteller kann sich in dieser Situation nur noch dadurch helfen, dass er die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner sofortigen Beschwerde beantragt (§ 173 Abs. 1 S. 3 GWB), um die Zuschlagserteilung weiter zu verhindern.

Über einen solchen Antrag des Antragstellers/Bieters muss der Vergabesenat innerhalb der Zwei-Wochen-Frist bis zum Entfallen der aufschiebenden Wirkung entscheiden und sich dabei an den Erfolgsaussichten der Beschwerde und dem Interesse der Allgemeinheit an der wirtschaftlichen (und damit nicht verzögerten) Erfüllung der Aufgaben des Auftraggebers orientieren.

Der Auftraggeber kann eine aufschiebende Wirkung nicht beantragen. Er ist durch die Regelung § 176 GWB (Antrag auf vorzeitige Zuschlagserteilung) hinreichend geschützt ist. Die Erfolgsaussichten eines solchen Antrags, über den innerhalb von fünf Wochen zu entscheiden ist (§ 176 Abs. 3 GWB), hängen ebenfalls von einer Interessenabwägung und den Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde ab.

Begründetheit

Die Entscheidung der Vergabekammer ist aufzuheben, wenn die Beschwerde begründet ist, d.h. Vergabefehler vorliegen. Der Vergabesenat kann selbst entscheiden oder das Verfahren an die Vergabekammer zurückverweisen.

Hat sich das Vergabeverfahren allerdings zwischenzeitlich erledigt, z.B. durch Zuschlagserteilung, wird – wegen der Bindungswirkung für den etwaigen Schadensersatzprozess vor den ordentlichen Gerichten (§ 179 Abs. 1 GWB) – (auf Antrag) die Rechtsverletzung des Antragstellers festgestellt.

Sekundärrechtsschutz

Das GWB enthält selbst Regelungen zum Sekundärrechtsschutz (§§ 180, 181 GWB), die die Regelungen des allgemeinen Zivilrechts lediglich ergänzen. So enthält § 180 GWB eine spezialgesetzliche Ausprägung der Regelung zur Schadensersatzpflicht nach § 826 BGB, der in der Praxis allerdings von untergeordneter Bedeutung ist. Denn maßgeblich wird in der Regel auf die Anspruchsgrundlagen des allgemeinen Zivilrechts abgestellt, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Vergaben unterhalb und oberhalb der Schwellenwerte handelt.[7]

Rechtsschutz im Unterschwellenbereich

Primärrechtsschutz

Obwohl das BVerfG im Jahre 2006 entschieden hatte, dass es einen eigenen bzw. ausdrücklich normierten Primärrechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte verfassungsrechtlich nicht zwingend geben müsse,[8] galt die Frage nach der Existenz von Primärrechtsschutz im Unterschwellenbereich lange Zeit als nicht geklärt. Das OLG Düsseldorf den Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte (im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes) schon früh bejaht und dabei – im Wege richterlicher Rechtsfortbildung – ein Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte dem oberhalb der Schwellenwerte angeglichen.[9] Auch die Europäische Kommission vertrat seit jeder die Auffassung, dass es auch unterhalb der Schwellenwerte effektiven Rechtsschutz geben müsse.[10] Gegen diese „Mitteilung“ hatte die Bundesrepublik Deutschland allerdings geklagt und die Ansicht vertreten, die Mitteilung stelle eine Umgehung des Gesetzgebers dar.[11] Der EuGH hat die Klage allerdings abgewiesen,[12] und zwar mit dem Argument, dass eine „Mitteilung“ kein Akt der Rechtsetzung sei, sondern lediglich eine Zusammenfassung der Rechtslage (einschließlich der Rechtsprechung des EuGH).

Nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung ist es für einen Bieter durchaus möglich, die Vergabe an einen Mitbewerber, und zwar im Wege einer Einstweiligen Verfügung vor den Zivilgerichten, zu verhindern[13]. Von einem effektiven Rechtsschutz kann allerdings – aufgrund des Fehlens der Möglichkeit instanzübergreifender Zwischenverfügungen – nicht die Rede sein, da der Bieter faktisch darauf angewiesen ist, mit seinen geltend gemachten Vergaberechtsverstößen in der ersten Instanz durchzudringen (vgl. hierzu den Beitrag zum Rechtsschutz im Unterschwellenbereich und den Enzyklopädie-Eintrag zu den Wartefristen).

Sekundärrechtsschutz

Ein auf Ersatz des positiven Interesses gerichteter Schadensersatzanspruch eines Bieters nach der Erteilung des ausgeschriebenen Auftrages an einen anderen Bieter setzt voraus, dass der Auftrag bei richtiger bzw. rechtmäßiger Handhabung des Verfahrens unter Beachtung des der Vergabestelle ggfs. zukommenden Wertungsspielraumes dem Gläubiger des Ersatzanspruches hätte erteilt werden müssen.

Dies ist nur dann der Fall, wenn das Angebot des Gläubigers unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte das wirtschaftlichste Angebot war.[14] Mit dem Vorbehalt, dass dem übergangenen Bieter bei ordnungsgemäßem Verlauf des Vergabeverfahrens der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre, soll vielmehr in erster Linie verhindert werden, dass ein Bieter, dessen Angebot selbst nicht ausschreibungskonform ist und dem deshalb der Auftrag nicht hätte erteilt werden dürfen, Schadensersatz erhält.[15]

Welchen Schaden aber kann der übergangene Bieter geltend machen? Wie würde sich dieser Schaden berechnen lassen?

Ein Bieter kann den Ersatz seiner Kosten für die Erstellung des Angebots beanspruchen, soweit der Auftraggeber gegen bieterschützende Verfahrensvorschriften verstößt und der Bieter eine echte Chance auf den Zuschlag gehabt hätte (s.o.). Dies bedeutet, dass alle angefallenen Aufwendungen ersetzt verlangt werden können, also alle mit der Angebotsabgabe verbundenen Kosten.[16] Der Ersatz der Angebotskosten als Vertrauensschaden kommt aber grundsätzlich allein für den Bieter in Betracht, der als Sieger aus dem Vergabeverfahren hervorgegangen wäre (OLG Celle, B. v. 04.03.2010 – Az.: 13 Verg 1/10).

Es können allerdings nicht nur die Kosten für die Erstellung des Angebots, sondern Ersatz des entgangenen Gewinns verlangt werden. Dies ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB. Voraussetzung ist jedoch, dass der Auftraggeber einem anderen Bieter den Zuschlag erteilt hat und der übergangene Bieter beweisen kann, dass er den Zuschlag im Rahmen eines rechtmäßigen Vergabeverfahrens hätte erhalten müssen.

Hätte bei einem Vergabeverfahren, das mit dem Zuschlag abgeschlossen wurde, also nur einem bestimmten Bieter der Zuschlag erteilt werden dürfen, kann dieser Bieter, wenn ihm der Auftrag nicht erteilt wird, Ersatz seines positiven Interesses, konkret Ersatz des Gewinnausfalls und der Rechtsanwaltskosten verlangen.[17]

Der Anspruch auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo umfasst mit dem positiven Interesse auch die allgemeinen Geschäftskosten (§ 249 Satz 1 BGB), es sei denn der Auftragnehmer hat einen Ersatz- oder Füllauftrag angenommen, um die durch die Nichtbeauftragung entstandene Finanzierungslücke auszufüllen.[18]


[1] Nach § 163 Abs. 1 GWB für die Vergabekammern, nach § 175 Abs. 2 i.V.m. § 70 Abs. 1 GWB für die Vergabesenate.

[2] Die Einreichung per Telefax reicht aus.

[3] Vgl. Kulartz/Kus/Portz/Prieß-Dicks, GWB, § 97 Rn. 237 ff.

[4] A.a.O., Rn. 242. Dies ist beispielsweise bei Melde- und Berichtspflichten gegenüber der Kommission der Fall.

[5] A.a.O., Rn. 246.

[6] Ermessensentscheidungen und Beurteilungsspielräume können nur auf deren fehlerhafte Ausübung überprüft werden.

[7] Zu den Einzelheiten vgl. unten (S. 91).

[8] BVerfG, Beschluss vom 13.06.2006, 1 BvR 1160/03, VergabeR 2006, 871 = BauR 2007, 98.

[9] OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2010 – I – 27 U 1/09, VergabeR 2010, 531.

[10] Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen zum Gemeinschaftsrecht vom 24.07.2006, ABl EU 2006 C 179 S. 2 ff.

[11] Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Technologie, Forum Vergabe Monatsinfo 9/2006, S. 151.

[12] EuGH, Urteil vom 20.05.2010 – T 258/06.

[13] Streitig ist allerdings, welche Gerichtsbarkeit zuständig ist. Nach BVerfG, Beschluss vom 02.05.2007 – 6 B 10.07, VergabeR 2007, 337, wäre die ordentliche Gerichtsbarkeit für eine Vergabenachprüfung zuständig; vgl. auch Schabel, IBR 2007, 385.

[14] Vgl. BGH, Urteil v. 05.06.2012 – X ZR 161/1; Urteil v. 26.01.2010 – X ZR 86/08; Urteil v. 10.06.2008 – X ZR 78/07; OLG Hamm, Urteil v. 12.09.2012 – 12 U 50/12; OLG Köln, Urteil v. 31.01.2012 – 3 U 17/11; Saarländisches OLG, Urteil v. 24.06.2008 – 4 U 478/07; OLG Köln, Urteil v. 18.06.2010 – 19 U 98/09; OLG Koblenz, B. v. 04.02.2009 – 1 Verg 4/08; OLG Zweibrücken, Urteil v. 24.01.2008 – 6 U 25/06.

[15] BGH, Urteil v. 05.06.2012 – X ZR 161/1.

[16] Vgl. OLG Koblenz, B. v. 15.01.2007 – 12 U 1016/05.

[17] BGH, Urteil v. 18.09.2007 – X ZR 89/04; Urteil v. 27.06.2007 – X ZR 34/04; Urteil v. 30.03.2006 – VII ZR 44/05; Urteil v. 03.06.2004 – X ZR 30/03; Urteil v. 6.2.2002 – X ZR 185/99; Urteil v. 16.10.2001 – X ZR 100/99.

[18] Vgl. Saarländisches OLG, Urteil v. 24.06.2008 – 4 U 478/07.