Das deutsche Vergaberecht ist zweigeteilt: Oberhalb der sog. Schwellenwerte gilt ein strenges Wettbewerbsrecht mit umfassenden Rechtsschutzmöglichkeiten. Unterhalb der „Schwellenwerte“ ist das Vergaberecht nach wie vor maßgeblich haushaltsrechtlich geprägt. Diese Zweiteilung wird überlagert durch eine Differenzierung einzelner Beschaffungsvorgänge. So gibt es Beschaffungsvorgänge der öffentlichen Hand im sog. „Sektorenbereich“ (Verkehrs-, Energie- und Trinkwasserversorgung)[1]. Im Verteidigungsbereich[2] sowie die Beschaffungsvorgänge im Übrigen.[3]
Darüber hinaus muss noch danach differenziert werden, ob die Beschaffung durch eine Konzession[4] oder einen sonstigen bzw. „gewöhnlichen“ Auftrag erfolgen soll.
Wie oben bereits erwähnt, handelt es sich in Deutschland um ein zweigeteiltes Vergabeverfahren, ein wettbewerbliches (oberhalb der Schwellenwerte) und ein haushaltsrechtliches (unterhalb der Schwellenwerte). Maßgeblich ist dabei das geschätzte Nettoauftragsvolumen. Gem. § 106 GWB betragen die Schwellenwerte[5] derzeit:
- Bauaufträge 5.382.000,00 EUR
- Liefer- und Dienstleistungsaufträge
- im Bereich der Sektoren 431.000,00 EUR
- der obersten oder oberen Bundesbehörden 140.000,00 EUR[6]
- alle übrigen Liefer- und Dienstleistungsaufträge 215.000,00 EUR
- Konzessionen 5.382.000,00 EUR
Im Baubereich ist – neben dem ausdrücklich geregelten Schwellenwert (5.382.000,00 EUR für Bauaufträge) auch der für Liefer- und Dienstleistungsaufträge geltende Schwellenwert von Bedeutung, da einige „Aufträge“ im vergaberechtlichen Sinne zwar in zivilrechtlicher Hinsicht den Verträgen für die Bauausführung entsprechen, nicht aber in vergaberechtlicher Hinsicht. So sind die Architekten-, Ingenieur- und Projektsteuerleistungen keine Leistungen, die unter den Begriff „Bauauftrag“ fallen, sondern „Dienstleistungen“, mit der Folge, dass insoweit der Schwellenwert von 215.000,00 EUR gilt.
§ 3 VGV ergibt sich der Schwellenwert aus dem zu erwartenden Nettoauftragsvolumen, wobei für die Ermittlung grundsätzlich (im Baubereich) alle Bauabschnitte eines Vorhabens einzubeziehen sind. Ob der zu erwartende Nettoauftragswert ober- oder unterhalb des Schwellenwertes liegt, hat nicht nur Auswirkungen auf die zu wählende Art und das Verfahren der Auftragsvergabe, sondern vor allem auch auf die Rechtschutzmöglichkeiten. Lediglich oberhalb der Schwellenwerte besteht die Möglichkeit, die Vergabeentscheidung eines öffentlichen Auftraggebers in einem ausdrücklich normierten Vergabenachprüfungsverfahren (§ 155 ff. GWB) überprüfen zu lassen. Unterhalb der jeweiligen Schwellenwerte gilt der Rechtsschutz weithin auf einen Sekundärrechtsschutz, d. h. der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für den Fall eines Vergaberechtsverstoßes und eines dadurch entstandenen Schadens, beschränkt. Diese Auffassung dürfte allerdings weniger auf die Rechtslage, sondern vielmehr auf ernüchternde Erfahrungen mit den erstinstanzlich zuständigen zivilen Amts- und Landgerichten zurückzuführen sein. Denn es gibt sehr wohl im Unterschwellenbereich Rechtsschutz. Man ist als Bieter im Ergebnis nach derzeitiger Rechtslage darauf angewiesen, die erste Instanz von den Vergaberechtsverstößen zu überzeugen, was angesichts der regelmäßig (noch) geringen Erfahrungen dieser Gerichte bisweilen eine Herausforderung darstellt. Zu den Einzelheiten vgl. den Beitrag zum Rechtsschutz im Unterschwellenbereich sowie die Erstausgabe von Legal Report (01/2022). Maßgeblich hängt der Rechtsschutz aber auch von den Wartefristen ab, der in den Bundesländern (noch) unterschiedlich geregelt ist (vgl. eine Übersicht der Wartezeiten hier).
[1] RL 214/25/EU (Sektorenvergaberichtlinie).
[2] RL 2009/81/EG und RL 2009/43/EG.
[3] RL 2014/24/EU (Allgemeine Vergaberichtlinie).
[4] RL 214/23/EU (Konzessionsvergaberichtlinie).
[5] Die Schwellenwerte werden alle zwei Jahre überprüft und teils neu festgesetzt. Eine Übersicht der Änderungen findet sich bei: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32021R1952&qid=1636618862494&from=DE.
[6] Dies sind die im Anhang I der RL 2014/24/EU genannten Behörden.