Bauprozessrecht

Das private Baurecht unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von anderen Rechtsgebieten, nicht nur in materiell-rechtlicher Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf das Verfahrensrecht, das auch als Bauprozessrecht bezeichnet wird. Zwar gibt es auch in anderen Rechtsgebieten prozessuale Fragestellungen, die identisch sind mit denen des Bauprozessrechts. Es gibt aber auch Besonderheiten des Bauprozessrechts, die vor allem damit zusammenhängen, dass eine Vielzahl tatsächlicher Fragen zu klären und komplexe rechtliche Fragen zu entscheiden sind. Zu diesem Besonderheiten gehören nicht nur Fallkonstellationen, die im privaten Baurecht regelmäßig vorkommen, sondern auch Besonderheiten bei der Auswahl und der Vorbereitung des geeigneten gerichtlichen Verfahrens, die von den materiell-rechtlichen Fragen des privaten Baurechts (z.B. Darlegung- und Beweislast) nicht zu trennen sind. 

Zu den Besonderheiten des Bauprozessrechts gehört auch, dass es – aufgrund der Komplexität der Baurechtsfälle – nicht immer angezeigt ist, den Streitstoff zum Gegenstand eines einzigen gerichtlichen Verfahrens zu machen, sondern der Prozessstoff abgeschichtet und die Komplexität bisweilen reduziert werden muss, damit der dem Richter bzw. dem Kollegialorgan vorgelegte Streitstoff (noch) justiziabel bleibt.

Diese Situation wird noch dadurch verschärft, dass zahlreiche Fragestellungen, die Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens werden sollen, rechtliche und tatsächliche Aspekte aufweisen, mit der Folge, dass das Gericht und/oder die Parteien im Vorfeld an der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht vorbeikommen. Andererseits ist es auch problematisch, einem auf die Feststellung von Tatsachen bzw. technischen Sachverhalten spezialisierten Sachverständigen die Beantwortung von Rechtsfragen zu übertragen. Die damit verbundenen Folgeprobleme lassen sich bisweilen kaum noch in den Griff bekommen. Insofern muss jeweils im Vorfeld der Einleitung gerichtlicher Schritte sehr sorgfältig auch darauf geachtet werden, wem welche Fragestellung zur „Entscheidung“ vorgelegt werden soll.

Damit sind bereits einige der möglichen Weichen, die im Vorfeld eines Bauprozesses zu stellen sind, angesprochen. Wann ist es sinnvoll, zunächst ein Privatgutachten einzuholen, wann sollte ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet werden, wann bietet sich die Erhebung einer Klage an und in welchen Fällen kommt sogar auch ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren in Betracht? Dies lässt sich nicht nicht allgemein beantworten, sondern nur im konkreten Einzelfall. Die Anwendung der hier thematisierten Gesichtspunkte ist zwar Rechtsanwendung, die Anwälten, speziell Bauanwälten vorbehalten bleiben sollte. Dessen ungeachtet ist es durchaus möglich, die Rahmenbedingungen abzustecken, unter denen die Einzelfallentscheidung zutreffend sein wird.