Das scharfe Schwert des Schadensersatzes im Vergaberecht (Teil 1)

Der Schadensersatz im Bereich der Oberschwelle nach § 181 GWB

Vergabestellen können einiges an Ärger durchmachen, wenn sie ein Nachprüfungsverfahren verlieren. Das kann bedeuten, dass sie bestimmte Verfahrensschritte oder das ganze Vergabeverfahren wiederholen müssen. Aber in der Regel ist das für den öffentlichen Auftraggeber zu verkraften.

Die wirtschaftlichen Folgen von Schadensersatzansprüchen unterlegener Bieter sind weitreichend und können folgenreiche Konsequenzen haben. Dies ist ein großes Problem, das vieler Vergabestellen noch nicht bewusst ist, da die Anzahl solcher Fälle in der Praxis noch relativ gering ist. Allerdings nimmt die Zahl der entsprechenden Fälle zu, was die Bedeutung dieses Problems deutlich macht.

Zudem ist die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für Bieter, die im Vergabeverfahren ungerechtfertigt benachteiligt wurden, eine hervorragende Möglichkeit, ihre Ausgaben der Angebotserstellung bzw. Teilnahmeantragserstellung ersetzt zu bekommen. In manchen Fällen können sie sogar ihren entgangenen Gewinn geltend machen. Zudem führt eine Schadensersatzklage zu einer Feststellung, dass das Vorgehen der Vergabestelle pflichtwidrig war und kann somit vor einer erneuten Benachteiligung in anderen Vergabeverfahren schützen.

Im 1. Teil unserer Serie über den Schadensersatz im Vergaberecht beschäftigen wir uns mit dem eigens für das Vergaberecht geschaffenen Schadensersatzanspruch aus § 181 GWB.

Dieser findet grundsätzlich immer dann seine Anwendung, wenn das Vergabeverfahren im Anwendungsbereich des 4. Abschnitts des GWB also im Bereich der Oberschwelle stattgefunden hat.

Das Schadensersatzverlangen des § 181 GWB ist an mehrere Voraussetzungen gekoppelt.

Das EU-Vergaberecht muss einschlägig sein

Wie oben bereits ausgeführt ist § 181 GWB im Bereich der Unterschwelle nicht anwendbar. Somit muss zunächst geprüft werden, ob das Vergabeverfahren im Bereich der Oberschwelle stattgefunden hat. Dies findet man schnell über das von der Vergabestelle gewählte Verfahren heraus. Wurde ein offenes Verfahren, ein nicht offenes Verfahren, ein Verhandlungsverfahren, ein wettbewerblicher Dialog oder eine Innovationspartnerschaft durchgeführt, ist das Vergabeverfahren in der Zuständigkeit des 4. Teil des GWB angesiedelt und somit im Bereich der Oberschwellenvergabe einzuordnen.

Wenn ein Verstoß gegen bieterschützende Vorschriften vorliegt

Bieterschützende Vorschriften finden sich grundsätzlich in allen vergaberechtlichen Regelungskatalogen (VgV, SektVO, KonzVO, VSVgV, VOB/A-EG, VOB/A VS.). Jedoch sind nicht alle Vorschriften in den genannten Regelungswerken bieterschützend. Als Faustregel lässt sich feststellen: Vorschriften, die Transparenz und Gleichbehandlung im Vergabeverfahren sicherstellen, sind grundsätzlich immer bieterschützend. Vorschriften mit haushaltsrechtlicher, ordnungsrechtlicher oder gesamtwirtschaftspolitischer Zielsetzung sind es hingegen grundsätzlich nicht. Hier sollte immer eine individuelle Prüfung stattfinden.

Der Bieter muss eine echte Chance auf den Zuschlag haben

Hier legt die Rechtsprechung strenge Maßstäbe an. So heißt es z.B., eine „echte Chance“ im Sinne des § 181 S. 1 GWB bestünde nur dann, wenn das Angebot des Anspruchstellers bei objektiver Betrachtung in die engere Wahl gekommen sei oder zumindest hätte kommen müssen[1].

Diese engen Voraussetzungen sind wohl nicht mit geltendem EU-Recht in Einklang zu bringen, gerade auch weil der EuGH den Sekundärrechtschutz (Schadensersatzforderungen) eine hohe Bedeutung zuerkennt. Somit wäre das Anlegen weniger strenger Maßstäbe der richtige Weg. Danach hätte nicht nur der nach Wertung der Angebote zu dem bestplatzierten gehörigen Bieter eine echte Chance; vielmehr wäre diese Voraussetzung bei allen Bietern erfüllt, deren Angebote in formeller Hinsicht einwandfrei sind und die alle geforderten Eignungsnachweise vorgelegt haben[2].

Zwischen dem Verstoß der Vergabestelle und der Beeinträchtigung der Chance auf den Zuschlag muss ein Zusammenhang liegen

Der Schadensersatzanspruch nach § 181 S. 1 GWB setzt voraus, dass durch den Verstoß gegen eine bieterschützende Vorschrift die Chance auf Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt wurde. Das ist der Fall, wenn der Vergaberechtsverstoß nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Beeinträchtigung der Chance auf den Zuschlag in ihrer konkreten Gestalt entfiele. Der Bieter ist hierfür in der Beweislast.

Es ist strittig, ob der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens die Kausalität zwischen Verstoß und der Beeinträchtigung der Chance auf den Zuschlag entfallen lässt. Rechtmäßiges Alternativverhalten liegt dann vor, wenn die Beeinträchtigung auch dann eingetreten wäre, wenn sich der Auftraggeber rechtmäßig verhalten hätte.

Der BGH lässt den Vortag rechtmäßigen Alternativverhaltens durch den Auftraggeber grundsätzlich zu[3].  Dem ist im Ergebnis nicht zuzustimmen, denn bei einer solchen Verfahrensweise würde der Tatbestand des § 181 GWB unterlaufen werden. Hat der Auftraggeber gegen vergaberechtliche Vorschriften, die dem Wettbewerbsschutz dienen, verstoßen, schuldet er nach § 181 GWB die Erstattung der Angebots- bzw. Teilnahmekosten. Er hat sich dann schadensersatzpflichtig verhalten und kann dies nicht aushebeln, indem er sich darauf beruft, wenn er sich korrekt verhalten hätte, wäre es zum gleichen Ergebnis gekommen[4].

Verschulden durch den öffentlichen Auftraggeber

Muss der Anspruchsteller bei vielen Schadensersatzansprüchen das Verschulden der Gegenseite nachweisen, so ist § 181 GWB nach seinem Wortlaut verschuldensunabhängig.

Mitverschulden oder mit anderen Worten: muss eine Rüge ausgesprochen werden?

Ob auch zur Sicherung eines Schadensersatzanspruches eine vorherige Rüge im Vergabeverfahren erhoben werden muss, ist umstritten. Zum Teil wird vertreten, dass wenn keine Rüge ausgesprochen wurde, dies nicht nur zur Unzulässigkeit eines Nachprüfungsanspruches führt, sondern auch zu einem Versagen des nachgelagerten Schadensersatzanspruches. Nach dem Wortlaut des § 181 GWB ist eine Rüge für die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruches nicht notwendig[5], sodass der oben dargestellten Meinung wohl nicht zu folgen ist. Jedoch kann ein Mitverschulden angenommen werden und der Schadensersatzanspruch so eine Minderung erfahren, wenn die unterlassene Rüge adäquat kausal für die Vergabe des Auftrags an einen Wettbewerber und einen daraus entstehenden Schaden des Anspruchstellers geworden sei[6].

Verjährung

Für die Verjährung gilt die reguläre Verjährungsfrist aus dem BGB. Der Schadensersatzanspruch nach § 181 S. 1 GWB verjährt innerhalb von drei Jahren nach seiner Entstehung, wobei die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres zu laufen beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller von den Anspruch begründenden Umständen sowie der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Zuständigkeit des Gerichts

Zuständig ist die ordentliche Gerichtsbarkeit. Ausschließlich zuständig sind nach § 87 S. 1 GWB die Landgerichte, und zwar ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts.

Was ist zu ersetzen

Grundsätzlich ist der Geschädigte so zu stellen, wie er stünde, wenn er sich am Vergabeverfahren nicht beteiligt und keine Vorbereitung dafür getroffen hätte. Dies bedeutet, dass nach § 181 S. 1 GWB der Geschädigte die Erstattung der Kosten für die Vorbereitung des Angebots oder der Kosten für die Teilnahme an einem Vergabeverfahren verlangen kann[7].

Dazu zählen z.B. innerbetriebliche Sachkosten und die Kosten für die Wahrnehmung von Vor-Ort-Terminen. Ebenso werden Allgemein- und Personalkosten eines Bieters ersetzt, wenn diese für den konkreten Auftrag zugerechnet werden können[8].

Beauftragt ein Bieter einen Rechtsanwalt im Rahmen einer Ausschreibung mit der Prüfung der Ausschreibungsunterlagen, sind die Rechtsanwaltskosten ersatzfähig, wenn die Einschaltung des Rechtsanwalts sachgerecht und erforderlich war[9]. Wann diese Entscheidung sachgerecht und erforderlich war, ist anhand des Einzelfalls zu bestimmen.

Was wird nicht ersetzt?

Der entgangene Gewinn wird nicht gemäß § 181 S. 1 GWB ersetzt. Sogar dann, wenn durch die Beteiligung an der Ausschreibung andere Aufträge abgelehnt wurden, ist der hieraus entstandene Verlust nicht nach § 181 GWB zu ersetzen.

Zusammenfassung

Mit einem Schadensersatzanspruch gemäß § 181 GWB hat ein Bieter gute Chancen, die Kosten seiner Beteiligung an einem Vergabeverfahren erfolgreich einzuklagen, wenn beim Vergabeverfahren Fehler begangen wurden, die seine Chance auf den Auftrag zu Nichte gemacht haben. Auch kann mit diesem Anspruch selbst nach Zuschlagserteilung noch durch Urteil festgestellt werden, dass der öffentliche Auftraggeber gegen das Vergaberecht verstoßen hat und so die Möglichkeit besteht, dass dieser Fehler in Zukunft abgestellt wird. Auch der Schadensersatzanspruch nach § 181 GWB zeigt erneut, wie wichtig eine Rüge im Vergabeverfahren ist, denn selbst beim Schadensersatzanspruch kann eine fehlende Rüge zur Minderung des Anspruches führen. In der Folge sollten alle erkannten Vergabeverstöße gerügt werden.

Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass bei Verstößen gegen das Vergaberecht im Bereich der Oberschwelle ein Schadensersatzanspruch gute Chancen hat, durchgesetzt zu werden.

von RA Maximilian Bühner

 

[1] BGH 1. 8. 2006 – X ZR 146/03, NZBau 2007, 58; BGH 27. 11. 2007 − X ZR 18/07, BGHZ 173, 33.

[2] Vgl. Beck VergabeR/Antweiler, 4. Aufl. 2022, GWB § 181 Rn. 15.

[3] BGH Urt. v. 25.11.1992 – VIII ZR 170/91, BGHZ 120, 281 = NJW 1993, 520.

[4] Vgl. Ziekow/Völlink, GWB § 181 Rn. 36, beck-online.

[5] Vgl. BGH Urt. v. 18.6.2019 – X ZR 86/17, VergabeR 2019, 753; OLG Dresden VergabeR 2004, 500.

[6] Vgl. BGH Urt. v. 18.6.2019 – X ZR 86/17, VergabeR 2019, 753.

[7] Vgl. MüKoEuWettbR/Gröning, 4. Aufl. 2022, GWB § 181 Rn. 70.

[8] Vgl. MüKoEuWettbR/Gröning, 4. Aufl. 2022, GWB § 181 Rn. 72, 73.

[9] Vgl. BGH 9. 6. 2011 – X ZR 143/10, NZBau 2011, 498 (499) – Rettungsdienstleistungen II.

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