Luca App – Direktvergabe wegen Eilbedürftigkeit – reine Internetrecherche problematisch

Zentrales E-Mail-Postfach ist Zentrales E-Mail-Postfach: Rechtsprechung bietet neue Herausforderungen für Auftraggeber und neue Chancen für Bieter

Sachverhalt

Das OLG Rostock hatte sich im Rahmen von drei Nachprüfungsverfahren mit einer Eil-Beschaffung der Luca-App durch das Land Mecklenburg-Vorpommern zu befassen, die nach der Ausnahmeregelung des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb mit nur einem Teilnehmer vergeben wurde. Dies war nach seiner Auffassung fehlerhaft erfolgt (OLG Rostock. 17 Verg 4/21). Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern beschaffte am 08.03.2021 die Luca-App zur Kontaktnachverfolgung, nachdem der Bund am 26.02.2021 mitgeteilt hatte, keine deutschlandweite Lösung bereitzustellen. Für die Beschaffung hatte das Land unter anderem vorgegeben, dass das Produkt über eine Schnittstelle zu dem Programm der Gesundheitsämter SORMAS (Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System) verfügen sollte. Dieser Beschaffungsvorgang wurde von drei unterlegenen Bietern in drei Nachprüfungsverfahren angegriffen, die vom OLG Rostock zu entscheiden waren. In den Verfahren 17 Verg 2/21 – Luca-App und 17 Verg 6/21 – Luca III wurde sowohl der Weg der Direktvergabe wegen der Eilbedürftigkeit als zulässig betrachtet, als auch die Vorgabe einer Schnittstelle zu SORMAS, denn diese sei vom Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers gedeckt. Die Antragsteller unterlagen hier, weil ihre Produkte die Schnittstelle zu SORMAS nicht aufwiesen bzw. die Zuschlagskriterien aus anderen sachlichen Gründen nicht erfüllten und damit nicht zuschlagsfähig gewesen wären. Im dritten Verfahren (17 Verg 4/21) war die unterlegene Bieterin jedoch erfolgreich. Ihre Anwendung erfüllte alle Vorgaben der Leistungsbeschreibung und hätte daher von der Vergabestelle berücksichtigt werden müssen, so das OLG Rostock. Die Vergabestelle hatte aus Gründen der Eilbedürftigkeit nur eine Internetrecherche über mögliche Anbieter durchgeführt, war dabei aber nicht auf das Angebot der Bieterin gestoßen und hatte damit die Bieterin nicht in die Verhandlungen einbezogen. Das OLG Rostock stellte fest, dass eine bloße Internetrecherche nicht ausreichend sei, um eine anzunehmende Alleinstellung eines Unternehmens zu verifizieren. Außerdem hatte sich die Bieterin bereits vor dem Vergabeverfahren per E-Mail an die Auftraggeberin gewandt und auf ihr Programm zur Kontaktnachverfolgung hingewiesen. Diese Mails hätten von der Auftraggeberin berücksichtigt werden müssen. Das OLG Rostock führt dazu aus: „Auf Rechtsfolgenseite sieht die Ausnahmeregelung des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV allerdings keine gebundene Direktvergabe ohne jeden Wettbewerb, sondern eine Ermessensentscheidung vor, die sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen muss. Der Eingriff in den Wettbewerb ist so gering wie möglich zu halten. Dies betrifft einerseits Umfang und Laufzeit des Auftrags, andererseits die Gewährleistung von so viel Wettbewerb wie möglich („Wettbewerb light“). Hierzu sind in der Regel mehrerer Angebote einzuholen.“ Angesichts der vorliegenden Interessensbekundungen sei dies auch ohne eine nicht hinzunehmende Verzögerung möglich gewesen.

Rechtlicher Rahmen

Das OLG beschäftigt sich zunächst mit der Zulässigkeit des gewählten Verfahrens der Direktvergabe und hält diese weiterhin aus Gründen der Dringlichkeit im Einklang mit den zuvor ergangenen Beschlüssen für zulässig. Eine Vergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV schließt das Gericht zu Recht aus, weil der Auftrag eben nicht nur von dem einen beauftragten Unternehmen erbracht werden kann. In diesem Zusammenhang schreibt das Gericht der Landesverwaltung zwei Sorgfaltspflichten ins Stammbuch: Zum einen sei eine bloße Internetrecherche nicht ausreichend, um eine anzunehmende Alleinstellung eines Unternehmens zu verifizieren. Zum anderen müsse eine Verwaltung, die ein zentrales E-Mail-Postfach vorhalte, dort eingehende Nachrichten auch sichten und einem Verwaltungsvorgang zuordnen, um diese bei Bedarf berücksichtigen zu können. Sodann beschäftigt sich das Gericht mit den Rechtsfolgen der Nichtberücksichtigung der Antragstellerin und führt aus: „Auf Rechtsfolgenseite sieht die Ausnahmeregelung des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV allerdings keine gebundene Direktvergabe ohne jeden Wettbewerb, sondern eine Ermessensentscheidung vor, die sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen muss. Der Eingriff in den Wettbewerb ist so gering wie möglich zu halten. Dies betrifft einerseits Umfang und Laufzeit des Auftrags, andererseits die Gewährleistung von so viel Wettbewerb wie möglich („Wettbewerb light“). Hierzu sind in der Regel mehrerer Angebote einzuholen.“ Angesichts der vorliegenden Interessensbekundungen sei dies auch ohne eine nicht hinzunehmende Verzögerung möglich gewesen. Aus der mangelnden Berücksichtigung der Bewerbung der Antragstellerin folge ein Wettbewerbsverstoß, der zur Unwirksamkeit des Vertrages nach § 135 As. 1 Nr. 2 GWBG führe.

Bewertung

Das Gericht hatte mit seiner Entscheidung zwei interessante dogmatische Fragen zu behandeln. Zunächst hat es § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV dahingehend ausgelegt, dass dieser keine gebundene Direktvergabe ohne jeden Wettbewerb, sondern eine Ermessensentscheidung vorsehe und den Auftraggeber verpflichte, so viel Wettbewerb vorzusehen, wie angesichts der Eilbedürftigkeit möglich. Dies geht aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht hervor. Als Begründung wird § 51 VgV herangezogen, in dessen Abs. 1 Satz 1 es heißt, bei allen Verfahrensarten mit Ausnahme des offenen Verfahrens könne der öffentliche Auftraggeber die Zahl der einzuladenden Bewerber begrenzen. Absatz 2 der Vorschrift nennt dann eine Mindestzahl von drei Bewerbern (mit detaillierter Begründung OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.12.2020, 15 Verg 8/20). Aus dem Wortlaut der angeführten Vorschriften geht zunächst nur hervor, dass eine Begrenzung der zu beteiligenden Bewerber statthaft ist, und zwar bis auf mindestens drei. Eine Pflicht zur Beteiligung ist diesem nicht zu entnehmen. Dennoch verdient diese Auslegung Zustimmung: Die bewusste Nichtbeteiligung eines Bewerbers, soweit sie trotz Eilbedürftigkeit der Vergabe möglich ist, widerspricht dem grundlegenden Prinzip des Wettbewerbs, das in § 97 GWB festgeschrieben ist. Weiter interessiert die Frage, welche Rechtsfolge einen unter Verletzung dieser Pflicht zustande gekommenen Zuschlag trifft. Das OLG Rostock hat festgestellt, dass es sich um eine Dringlichkeitsvergabe handelt, die eine Bekanntmachungsveröffentlichung entbehrlich macht. Dennoch nimmt das Gericht eine Unwirksamkeit des Vertrages gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB an. Die Vorschrift lautet: „Ein öffentlicher Auftrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber (Nr. 2:) den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist“. Diese Fassung weicht bewusst ab von der Vorgängerversion. Diese hatte bis zur Vergaberechtsreform 2016 für die Unwirksamkeit auf die mangelnde Beteiligung anderer Unternehmen abgestellt. § 101b GWB (alte Fassung) lautete: § 101b GWB (Unwirksamkeit) (1) Ein Vertrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber 1. gegen § 101a verstoßen hat oder 2. einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren nach Absatz 2 festgestellt worden ist. Auf eine eventuell fehlende Beteiligung kommt es nach dem neuen Wortlaut gerade nicht mehr an. Die Neufassung der Regelung entspricht insofern fast wörtlich Art. 2d Abs. 1 a) der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG, in der ebenfalls nur auf die fehlende vorherige Bekanntmachungsveröffentlichung abgestellt wird. Das OLG Rostock vertritt die Ansicht, seine Auslegung lasse sich „durchaus zwanglos“ mit diesem Wortlaut vereinbaren und sei im Interesse eines effektiven Vergaberechtsschutzes letztlich konsequent und sachgerecht. Zuzustimmen ist dem Gericht darin, dass der effektive Vergaberechtsschutz als Ausprägung des „effet utile“ auch auf europarechtlicher Ebene Geltung hat. Jedoch sieht das europäische Vergaberecht in seiner Richtlinie 89/665/EWG diesen Rechtsschutz gerade nicht vor, sodass ihm auf nationaler Ebene auch nicht zur Geltung verhelfen werden muss. Soweit Gerichte dies anders beurteilen wollten, wäre dies durch eine Vorlagefrage an den EuGH zu klären gewesen.

Auswirkungen für öffentliche Auftraggeber

1. Ein Zentrales E-Mail-Postfach ist ein Zentrales E-Mail-Postfach. E-Mails, die dort eingehen, müssen nach Auffassung des OLG Rostock dort auch gesichtet und einem Verwaltungsvorgang zugeordnet werden „um diese bei Bedarf berücksichtigen zu können“. Dies gelte möglicherweise auch für den Spam-Ordner. Angesichts der Flut täglich eingehender E-Mails stellt dies Verwaltungen und andere öffentliche Auftraggeber vor eine Herausforderung. Wie hoch die Lese-, Zuordnungs- und sonstigen Sorgfaltsanforderungen anzusetzen sind, wird im Einzelfall eine interessante Fragestellung sein.
2. Auch eine begründete Eilbedürftigkeit stellt keinen Freifahrtschein für eine Direktvergabe dar. § 74 Abs. 4 Nr. 3 VgV sieht keine gebundene Direktvergabe ohne jeden Wettbewerb vor, sondern eine Ermessensentscheidung („kann“- Formulierung). Der Auftraggeber muss daher nach Ansicht des OLG Rostock so viel Wettbewerb vorsehen, wie dies angesichts der Eilbedürftigkeit möglich ist. Öffentlichen Auftraggebern ist auch im Bereich der eilbedürftigen Unterschwellenvergaben zu empfehlen, einen möglichst großen Wettbewerb zu ermöglichen, um sich nicht ggfs. Schadensersatzansprüchen auszusetzen.

Auswirkungen für Bieter

Wenn durch äußere Umstände eine eilbedürftige Auftragsvergabe erforderlich wird, und eine Direktvergabe grundsätzlich zulässig ist, ist für interessierte Auftragnehmer noch nicht alles verloren. Zu denken ist an die Beseitigung von Schäden nach Naturkatastrophen, wie der Flutkatastrophe 2021 oder anderen plötzlich auftretenden Ereignissen. Auf kommunaler Ebene ist dies oft Tagesgespräch. Wird die Schule durch einen Wasserschaden dringend renovierungsbedürftig, oder wird das Dach des Rathauses im Sturm beschädigt und muss schnellstens abgedichtet werden, kann es helfen, der Verwaltung anzuzeigen, dass man sich für die Ausführung der Arbeiten anbietet und dazu schnell bereit und in der Lage ist. Nach dem Urteil des OLG Rostock muss der Auftraggeber dann diese Anzeige zumindest zur Kenntnis nehmen und in der Folge so viel Wettbewerb zulassen, wie angesichts der Eilbedürftigkeit möglich.

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