Enzyklopädie Baurecht

VOB/B

Die sog. „VOB/B“1 ist ein in den 1920er Jahren entstandenes,2 von Auftraggeber- und Auftragnehmerverbänden gemeinsam entwickeltes und laufend fortgeschriebenes Klauselwerk, das zur Verwendung als Allgemeine Geschäftsbedingungen für Bauverträge in Deutschland konzipiert ist. Sie wird als „DIN 1961“ herausgegeben.

Zu Beginn der Weimarer Republik hatte der Reichstag den Antrag auf eine reichsgesetzliche Regelung des im liberalen Geist des 19. Jahrhundert entstandenen Verdingungswesens mit großer Mehrheit abgelehnt, woraufhin

– unter der geschäftsführenden Leitung des Reichsfinanzministeriums – ein ehrenamtlicher Sachverständigenausschuss eingesetzt worden war, der eine eigenständige Verdingungsordnung schaffen sollte.3 Regierung und Parlament nicht nur in der Weimarer Republik, sondern auch im Dritten Reich und in der bundesrepublikanischen Ära Vertretern der deutschen Bauwirtschaft, die Grundsätze für eine vermeintlich sachgerechte Vergabe und Abwicklung von Bauaufträgen zu erarbeiten. Dabei hatte es schon im Kaiserreich Bestrebungen gegeben, nicht nur das Verdingungswesen, sondern auch das Bauvertragsrecht umfassend zu regeln.

Die Diskussion über eine gesetzliche Regelung des Verdingungswesens und damit auch des Bauvertragsrechts wurde jedoch durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrochen und lebte zu Beginn der Weimarer Republik nur noch kurz wieder auf, bevor diese in einen fast 100 Jahren währenden „Dornröschenschlaf“ fiel.

Ziel sowohl des in den 1920er gegründeten Reichsverdingungsausschusses (RVA) als auch des im Jahre 1947 als Nachfolgeorganisation entstandenen Deutschen Vergabe- und Vertragsausschusses für Bauleistungen (DVA) war bzw. ist es, allgemein gültige Regeln für das private Baurecht aufzustellen, weil das Werkvertragsrecht im BGB die komplexen Besonderheiten des privaten Baurechts nicht ausreichend berücksichtigt. Nach dem seit den 1920er Jahren geltenden Selbstverständnis dieser Organisationen sollen mit der VOB/B das Fehlen bauspezifischer Regeln im Werkvertragsrecht ausgeglichen und ein „gerechter“ Ausgleich zwischen den Interessen von – insbesondere öffentlichen – Auftraggebern und Bauunternehmern geschaffen werden.

Die enorme Bedeutung der VOB/B als marktbeherrschendes Regelwerk über mehrere Epochen hinweg wäre nicht denkbar gewesen, wenn zu deren Hütern nicht immer auch die öffentliche Hand gehört hätte, die nicht nur für den Siegeszug, sondern auch für den Erhalt der VOB/B Sorge getragen hat – nicht zuletzt dadurch, dass diese nach den zwingend einzuhaltenden vergaberechtlichen Vorschriften bei jedem öffentlichen Auftrag in den Bauvertrag einbezogen werden muss.

Über einen Zeitraum von 117 Jahren war also die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den am Bau Beteiligten der Disposition der Vertragsparteien überlassen, denen mit der VOB/B eine vom DVA den sich ändernden Verhältnissen angepasste Vertragsordnung zur Seite stand, die von der Rechtsprechung nur selten in Frage gestellt worden ist.

Als gesetzliches Korrektiv des „freien Spiels der Kräfte“ standen der Recht- sprechung lediglich gesetzliche Verbote und – über das in den 1970er Jahren geschaffene AGB-Gesetz – eine für den Gesetzesanwender schwer durchschaubare Inhaltskontrolle einzelner Vertragsklauseln zur Verfügung. Mangels gesetzlicher Leitbilder war das Bauvertragsrecht in zentralen Teilbereichen des Baurechts zum Richterrecht geworden, wodurch die Justiz eine (Gestaltungs-)Macht erringen konnte, die in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu der nur rudimentär ausgeprägten Spezialisierung der Richterschaft stand.

Auch wenn sich das demokratische Legitimationsdefizit der VOB/B geradezu aufdrängt, sah der Gesetzgeber lange Zeit keinen Handlungsbedarf. So hielt selbst der Deutsche Juristentag im Jahre 1984 eine Überarbeitung oder gar Neukonzeption des Werkvertragsrechts für nicht erforderlich. Auch als sich einige Jahre später – im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung (2002) – eine grundlegende Überarbeitung des Werkvertragsrechts als Teil des Besonderen Schuldrechts anbot, ließ man diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen, obwohl zu dieser Zeit bereits die ersten Stellungnahmen von Baurechtsspezialisten zu einem eigenständigen Bauvertragsrecht vorlagen.

Es bedurfte des Einflusses des Deutsche Baugerichtstages, der seit 2006 alle zwei Jahre tagt, um die Rahmenbedingungen für die Schaffung eines eigenständigen Bauvertragsgesetzes zu verbessern. Angesichts der Realität gewordenen Kodifizierung des Bauvertragsrechts im BauVG stellt sich die seitdem diskutierte Frage, ob und inwieweit die VOB/B ihrem Selbstverständnis als allgemein gültiges Regelwerk für das private Baurecht zukünftig noch gerecht werden kann.

 

  1. VOB/B = VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen. ↩︎
  2. In der 3. Vollversammlung am 06.05.1926 konnte der RVA über die letzten Details eine Einigung erzielen, so dass dieses Datum bis heute als Geburtsdatum der VOB/B gilt. ↩︎
  3. Zur Geschichte der VOB/B, insbesondere auch zu deren Bedeutung als „Relikt des liberalen Geistes des 19. Jahrhunderts“ und den Auswirkungen des BauVG, vgl. Koenen, Bauvertragsrecht, S. 1034 ff. m.w.N. ↩︎