Building Information Modeling (BIM)
Kaum ein Begriff der Bauwirtschaft ist so aktuell wie der des „Building Information Modeling“, kurz BIM, zumal sich hinter diesem Begriff nicht weniger als eine digitale Revolution des Bauens verbirgt, die seit einigen Jahren auch die deutsche Bauwirtschaft erreicht hat. Mit ihr wird es zukünftig ein von allen Beteiligten genutztes dreidimensionales virtuelles Gebäudemodell geben, dem sich sämtliche Informationen über Quantitäten, Qualitäten und Kosten entnehmen lassen und anhand dessen alle am Bau Beteiligten nunmehr vollständig vernetzt Gebäude planen und errichten werden.
Während die neue Planungsmethode „BIM“ in anderen Ländern, vor allem in Großbritannien, schon weit verbreitet und dort auch schon etabliert ist, steckte diese in Deutschland noch lange in den Kinderschuhen.
Die Probleme bei der Bewältigung der mit BIM verbundenen rechtlichen Fragestellungen1 hängen eng mit den Besonderheiten des deutschen Rechtssystems zusammen, die erhebliche Auswirkungen auch auf die Umsetzung innovativer Methoden und Projekte haben.
Das nationale Rechtssystem als Ursache für abweichende Umsetzungsgeschwindigkeiten
Die Zurückhaltung in Deutschland bei der Umsetzung der seit mehreren Jahrzehnten bekannten BIM-Methode hat eine Vielzahl von Ursachen. Eine zentrale Ursache dürfte in den Besonderheiten des kontinentaleuropäischen Rechtssystems zu suchen sein, das auch in Deutschland vorherrscht und insoweit sogar als Vorbild gilt. Der Nachteil dieses Systems ist es , dass es die schnelle Umsetzung neuer Formen wirtschaftlicher Zusammenarbeit behindert. Andererseits hatte die mit diesem System eng verbundene (gesetzliche) Beschränkung der Dispositionsfreiheit der Vertragsparteien in der Vergangenheit erheblichen positiven Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik. So wurden Fehlentwicklungen hierdurch schneller korrigiert, Monopolstrukturen verhindert und Vertragsparteien schließlich vor der Übernahme unkalkulierbarer Risiken bewahrt.
Vergleicht man das deutsche kontinentaleuropäische Rechtssystem mit dem – die britische Wirtschaft prägenden – Common Law, kommt man sehr schnell zu der Erkenntnis, dass es auch die Unterschiede dieser beiden Rechtsfamilien sind, die die unterschiedlich schnelle Verbreitung des „Building Information Modeling“ beeinflusst haben. So handelt es sich bei dem britischen, genauer gesagt angloamerikanischen Rechtssystem im Unterschied zum kontinentaleuropäischen Recht um ein Präzedenzien- und Fallrecht (engl. case law), in dem frühere Entscheidungen auf neue Fälle angewendet werden. Im Gegensatz dazu herrschen in Kontinentaleuropa, insbesondere in Deutschland, systematisch aufgebaute Rechtsbücher vor, Kodifikationen, unter deren Bestimmungen jeder Einzelfall subsumiert, d. h. auf den Einzelfall übertragen wird.
Im kontinentaleuropäischen Rechtssystem sind also abstrakt formulierte Gesetze auf eine Vielzahl von Fällen anwendbar, die die gesamte Lebenswirklichkeit erfassen sollen und können. Die Justiz, so die Basis dieses Systems, wird schon dafür sorgen, dass die abstrakten Normen auf den konkreten Lebenssachverhalt richtig angewendet, „lebendig“ werden. Mit dem Präzedenzien- und Fallrecht eng verbunden ist die Tatsache, dass Bauvertragsparteien in Großbritannien Verträge aus- und verhandeln, ohne dass die Justiz in der Lage wäre, das Gegenteil dessen, was die Vertragsparteien verhandelt und in ihren Vertragstext aufgenommen haben, als gültig bzw. maßgeblich festzustellen. Und genau das ist in Deutschland anders. Bei uns gilt auch im so genannten B2B-Bereich – dies hat Bundesgerichtshof (BGH) immer wieder bestätigt – das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Demzufolge können die Bauvertragsparteien die strengen AGB-Regelungen faktisch nicht umgehen. Die Hürde, das „Aushandeln“ von Vertragsbedingungen (dies würde die Anwendbarkeit des AGB-Rechts ausschließen), überspringen Vertragsparteien nur in seltenen Ausnahmefällen. Und ohne das Überspringen dieser Hürde können sich die Bauvertragsparteien jedoch einfach nicht sicher sein, ob der Wortlaut oder gar Sinn und Zweck einer vertraglich ausgehandelten Regelung vor deutschen Gerichten Bestand haben bzw. gar in sein Gegenteil verkehrt werden wird.
Was aber haben diese eher rechtstheoretischen Aspekte mit der unterschiedlichen Umsetzungsgeschwindigkeit von BIM zu tun? Jede Neuentwicklung ist bekanntlich mit Risiken verbunden. Das gilt auch für die BIM-Methode, wenngleich man sich darüber einig ist, dass BIM bei den kritischen Themen „Termine, Qualitäten und Kosten“ – insbesondere bei Großbaustellen – ein enormes Optimierungspotential aufweist und die Anzahl der Risiken deutlich verringern wird – jedenfalls für den Bauherrn und Investor (eine Verbesserung der Risiko-Bilanz durch BIM muss sich nämlich keineswegs für alle am Bau Beteiligten ergeben).
Risiken lassen sich per Vertrag auf Dritte bzw. auf die jeweiligen Vertragspartner nach deutschem Recht nicht ohne Weiteres übertragen. Jedenfalls wären einem derartigen Ansinnen immer AGB-rechtliche Grenzen gesetzt, die verhindern sollen, dass Vertragspartner – auch durch den öffentlichen Auftraggeber – unangemessen benachteiligt werden.
Ein solcher gesetzlicher Rahmen hat durchaus Nachteile, wie sich bei der juristischen Umsetzung neuer Baumodelle immer wieder gezeigt hat. Niemand weiß nämlich bei sich wandelnden Vertragskonstruktionen – dies gilt insbesondere bei neuen Formen wirtschaftlicher Zusammenarbeit -, wie dieser Rahmen durch die Rechtsprechung konkret ausgestaltet werden wird. Insofern stellt sich durchaus auch hier die Frage, ob es die Vertragsparteien tatsächlich in der Hand haben, ihre Verträge frei zu gestalten und damit den gesetzlichen Rahmenbedingungen zu entgehen.
Rechtliche Unsicherheiten gibt es allein schon hinsichtlich der Einordnung der BIM-Verträge in die klassischen Vertragstypen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Insbesondere die Architekten haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder versucht, den enormen Haftungsrisiken des Werkvertragsrechts durch Vertragsgestaltungen zu entgehen – allerdings ohne Erfolg. Den zahlreichen Versuchen, deren Verträge als Dienstleistungsverträge einzustufen, hat die Rechtsprechung immer wieder einen Riegel vorgeschoben. Denn die Einordnung in einen der Vertragstypen des BGB, so die Argumentation des BGH, unterliegt nicht der Disposition der Parteien.
Bei einer flächendeckenden Einführung von BIM mit seinen neuen Geschäftsfeldern und seinen neuen Funktionen vor allem für die am Planungsprozess Beteiligten wird sich dieses Problem unweigerlich stellen. Dies gilt insbesondere wegen der neu entstehenden, zumindest sich wesentlich ändernden Leistungspflichten nicht nur von Planern, sonder auch von Bauausführenden und BIM-Managern.
Naturgemäß kann es zu den in diesem Zusammenhang sich stellenden juristischen Fragen noch keine verbindliche Antwort geben, weder vom Gesetzgeber noch von den Gerichten. Eine andere Frage ist jedoch, ob der Gesetzgeber bei der Einführung von BIM helfen bzw. unterstützend eingreifen sollte und wenn ja wie. Teilweise wird in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber selbst sollte auch in diesem Bereich einen Beitrag dazu leisten, dass die neue Planungsmethode, an der der Bund als klassischer öffentlicher Auftraggeber auch ein enormes wirtschaftliches Interesse hat, flächendeckend eingeführt wird.
Wie passen Teamarbeits-Verträge ins deutsche Schuldrecht?
Wie gehen Juristen mit der – nicht nur im Bereich der Bauwirtschaft unaufhaltsamen – Entwicklung von einer lockeren, nicht exakt definierten Zusammenarbeit einiger Einzelunternehmer hin zur technisch und rechtlich organisierten Teamarbeit um? Oder anders ausgedrückt: Kommen (Bau-)Juristen angesichts der nicht mehr aufhaltbaren Entwicklung zur Vernetzung aller am Bau Beteiligter mit unseren Zweiparten-Vertragsmodellen an ein Ende?
Die zunehmende Komplexität auch beim Bauen macht eine kooperative, vernetzte Planung unvermeidbar. Architekten und Fachingenieure beklagen nahezu täglich, dass sie angesichts der zunehmenden Komplexität selbst gar nicht mehr in der Lage sind, die vom Bauunternehmer zu erbringenden Leistungen abschließend zu planen und fachgerecht auszuschreiben. Hersteller und Lieferanten der immer komplizierter werdenden Bauprodukte müssen vielmehr in erheblichem Umfang Planungsleistungen erbringen. Anders funktioniert es einfach nicht mehr.
Bereits jetzt, d. h. ohne BIM, gibt es die klassische Teilung zwischen Planung und Ausführung nicht mehr. Das Zusammenspiel zwischen allen am Bau Beteiligten wird also immer wichtiger. „Dass alle Planungsbeteiligten von Anfang an zusammenwirken“, stellte kürzlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung zutreffend fest, sei das eigentlich „Revolutionäre“ an der neuen Planungsmethode. Und dieses „Revolutionäre“ juristisch in den Griff zu bekommen, ist eine der zentralen Herausforderungen des Baurechts.
Nun könnte man meinen, dass das Erfordernis kooperativer Planung und Ausführung nicht für Baubeteiligte, sondern auch für Juristen kalter Kaffee, vom Bundesgerichtshof sogar zur vertraglichen Verpflichtung erhoben worden ist. Kooperation im Sinne des BGH meint jedoch etwas ganz anderes. Denn dort geht es „nur“ um das Verhältnis der Baubeteiligten als „Partner“ eines Zwei-Parteien-Vertrags, letztlich also um das Gebot der Rücksichtnahme unter Vertragspartnern, oder – juristisch ausgedrückt – um eine Ausgestaltung des bekannten Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
Was uns nun bevorsteht, ist jedoch der Umgang mit der Erkenntnis, dass es Wirtschaftsbereiche gibt, in denen die bisherige Struktur von „Auftraggeber“ einerseits und „Auftragnehmer“ andererseits an ein Ende kommen gekommen ist. Zwar gab es bereits in der Vergangenheit Vertragsmodelle, die darauf beruhten, dass ein einzelner Unternehmer die Bauaufgabe zu bewältigen nicht in der Lage war. Vor diesem Hintergrund werden bei Großbaustellen schon seit längerer Zeit Arbeitsgemeinschaften gebildet oder Generalunternehmer- und Generalplaner beauftragt. Die Beauftragung einer Arbeitsgemeinschaft oder eines Generalunternehmers verlagert das rechtliche Problem der Gestaltung von Verträgen mit mehreren Parteien allerdings nur vom Bauherrn auf dessen Hauptunternehmer. Dieser muss dann das Problem lösen, dass alle Projektbeteiligte einerseits eng verzahnt zusammenarbeiten müssen, niemand aber für die Fehler des anderen einstehen will. Dieses Problem ist zwar in den Griff zu bekommen, bedarf jedoch nicht nur sorgfältiger Vertragsgestaltung, sondern auch der Kenntnis und Berücksichtigung der Grenzen von Vertrags- bzw. Dispositionsfreiheit.
In anderen Wirtschaftszweigen wie beispielsweise dem Anlagenbau wird eine enge, auch digitale Verzahnung aller Beteiligter schon seit längerer Zeit praktiziert, und zwar mit Erfolg. Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass sich der Anlagenbau schon seit Langem nicht nur technisch, sondern auch organisatorisch und in vertragsgestalterischer Hinsicht durch einen enormen Komplexitätsgrad auszeichnet. Die Erkenntnis, dass die Komplexität auch am Bau stetig zunimmt und zur Zusammenarbeit und damit zum Austausch der Daten zwischen Planern und Unternehmern zwingt, wird eine flächendeckende Umsetzung der BIM-Methode beflügeln. Da der Bausektor im Vergleich zum Anlagenbau ein Riese ist und dessen tradierte Marktstrukturen deutlich komplexer sind, wird es allerdings wohl noch eine Weile dauern, bis die neuen Strukturen auch in der Bauwirtschaft etabliert sein werden.
Mehrparteienverträge als Lösung?
Um BIM erfolgreich umsetzen zu können, müssen Planer- und Bauverträge zukünftig miteinander vernetzt, wenn nicht gar als „Mehrparteienverträge“ ausgestaltet sein. Nur so werden die BIM-„Partner“ ein einheitliches Verständnis von der BIM-Methode entwickeln und den dieser Methode geschuldeten kooperativen Ansatz umsetzen können. Ob es insoweit ausreicht, die bisher üblichen Zweiparteien-Verträge lediglich um eine Klausel zu ergänzen, wie manche Juristen vorschlagen, mit der dann „Besondere Vertragsbedingungen für BIM-Leistungen“ (BIM-BVB) und ein „BIM-Pflichtenheft“ einbezogen wird, erscheint allerdings mehr als fraglich.2
Andererseits dürfte es im Baugewerbe – zumindest kurz- und mittelfristig – schwierig werden, „Mehrparteienverträge“ in Reinform zu etablieren, die sich dadurch auszeichnen, dass es für ein Projekt nur einen einzigen Vertrag gibt, den alle Projektbeteiligten unterzeichnen. Bedenkt man nämlich, wie wenig Erfahrung wir – nicht nur im Baubereich – mit Mehrparteienverträgen haben und wie schwer sich die Rechtsprechung bereits mit etwas komplexeren, nicht standardisierten Verträgen tut, wird man derzeit aus anwaltlicher Sicht vom Abschluss von Mehrparteienverträgen wohl abraten müssen, zumal in der frühen Planungsphase die Informationsbasis für die Beauftragung ausführender Unternehmen in der Regel nicht ausreicht. Als weitere Hürde kommt der zusätzliche Aufwand und zeitliche Bedarf hinzu, der erforderlich wäre, um einen Vertrag mit allen Projektbeteiligten unterschriftsreif zu verhandeln. Außerdem würde sich ein solcher Vertrag bei etwaig erforderlich werdenden Änderungen als äußerst starr erweisen, denn diese müssten mit sämtlichen Vertragspartnern verhandelt werden. Für den öffentlichen Auftraggeber, in vielen Fällen Bauherr von Großbauprojekten, dürfte sich der Weg eines Mehrparteienvertrags, jedenfalls oberhalb der EU-Schwellenwerte, aus vergaberechtlichen Gründen ohnehin verbieten.
Im Bereich des Anlagenbaus, dessen Erfahrungen für die Umsetzung von BIM fruchtbar gemacht werden sollten, war es im Übrigen auch nicht erforderlich, mit Mehrparteienverträgen zu arbeiten oder gar den Gesetzgeber auf den Plan zu rufen. Wie dort bedarf es allerdings auch bei der Umsetzung von BIM sorgfältiger Vertragsgestaltung, und zwar insbesondere im Hinblick auf die sich aus der BIM-Methode ergebene Verteilung von Rechten und Pflichten. Im Anlagenbau hat man, um ein Beispiel zu nennen, aus der – im BGB recht simpel konstruierten3 – Abnahme ein sehr komplexes, auf die konkreten Bedürfnisse im Projektablauf angepasstes Übergabe- und Abnahmesystem konstruiert, das in der Praxis auch funktioniert. Bei BIM-Verträgen wird man sich also auch die Frage stellen müssen, ob die Leistungen, die vom Auftraggeber abzunehmen sind, nicht kleinteiliger definiert werden und auf – nach heutigem Verständnis – Teilleistungen bezogen sein müssen. Ohne die Ermöglichung einer solchen Teilabnahme wird man beim „Bauen mit BIM“ wohl kaum auskommen. Die Haftungsrisiken, vor allem für Planer und deren Berufshaftpflichtversicherer, wären anderenfalls nicht kalkulierbar.
Bei der Gestaltung der Verträge mit Planern, Projektsteuerern, BIM-Managern und Ausführenden wird man also auf die Besonderheiten der neuen BIM-Methode abstellen und zugleich – neben den urheberrechtlichen, architektenhonorarrechtlichen und vergaberechtlichen Besonderheiten – die bereits erwähnten gesetzlichen Grenzen vertraglicher Dispositionsfreiheit beachten müssen.
- Vgl. zum Themenkomplex das zwischenzeitlich in 2. Aufl. Erschienene Werk von Eschenbruch/Leupert, BIM und Recht, Beck-Verlag 2019. ↩︎
- Vgl. hierzu das BVB-Modell von Eschenbruch in Eschenbruch/Leupertz, a.a.O. ↩︎
- Vgl. hierzu Koenen, Abnahme, Rn. 1 f. ↩︎