Enzyklopädie Baurecht

Abrissverfügung

Staat und Verwaltung müssen die Möglichkeit haben, gegen sog. „Schwarzbauten“ einzuschreiten. Andernfalls ist weder eine geordnete städtebauliche Entwicklung möglich noch kann ein Bestand an baulichen Anlagen garantiert werden, von dem keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Schließlich würde die Legalisierung von „Schwarzbauten“ die Präventionswirkung des Baugenehmigungsverfahrens aushöhlen (vgl. auch Abbruchverfügung).

Zum einen stellt die baurechtswidrige Errichtung oder Änderung von baulichen Anlagen eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße bis zu 500.000 EUR geahndet werden kann (z.B. § 86 BauO NRW 2018).

Ungeachtet dessen kann sich der Bauherr des „Schwarzbaus“ nicht durch Zahlung der Geldbuße „freikaufen“, denn unabhängig von der Geldbuße bleibt die Verpflichtung zur Beseitigung der baulichen Anlage und damit zur Herstellung baurechtsgemäßer Zustände bestehen.
Voraussetzung für den Erlass einer Abrissverfügung ist die formelle und materielle Illegalität des Vorhabens.

(a) Formelle Illegalität ist Voraussetzung, weil eine bestandskräftige Baugenehmigung dem Anriss zunächst einmal entgegensteht. Ist sie rechtswidrig erteilt worden, müsste sie zunächst zurückgenommen werden.

(b) Materielle Illegalität ist zusätzlich erforderlich, da der Eigentümer bei materieller Legalität für das Gebäude ohne weiteres eine

Baugenehmigung bekommen würde. Würde es abgerissen, entstünde ein unnötiger volkswirtschaftlicher Schaden.
Bei genehmigungsfreien oder von der Genehmigungspflicht freigestellten Vorhaben ist allein auf die materielle Illegalität abzustellen.
Ein Abrissverlangen ist rechtswidrig, wenn die bauliche Anlage Bestandsschutz genießt. So kann eine Änderung der Rechtslage dazu führen, dass ein ursprünglich materiell illegales Vorhaben im Laufe seines Bestehens irgendwann einmal legal geworden ist oder ein an sich legales Vorhaben illegal wird. Bestandsschutz genießt die bauliche Anlage, wenn die Legalität zu einem früheren Zeitpunkt einmal (über einen gewissen Zeitraum) gegeben war.

Die Landesbauordnungen stellen die Entscheidung über den Erlass einer Abrissverfügung in das Ermessen der Behörde, wenn sie wie § 58 Abs. 2 BauO NRW 2018 bestimmen:

„Die Bauaufsichtsbehörden haben bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden, soweit nicht andere Behörden zuständig sind. Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.“

Dabei kommt der Behörde zunächst ein Entschließungsermessen zu, das heißt, sie kann entscheiden, „ob“ sie ein Vorgehen gegen die rechtswidrige bauliche Anlage überhaupt für opportun hält.

So kann die Behörde ermessensfehlerfrei z.B. für die Lebenszeit des Eigentümers oder eine bestimmte Zeitdauer auf den Erlass einer Abrissverfügung verzichten und den „Schwarzbau“ für diese Zeit dulden.

Im Rahmen ihres Auswahlermessens kann die Behörde weiter bestimmen, „wie“ und gegen „wen“ sie vorgehen will.

Die Frage gegen „wen“ die Behörde vorgeht stellt sich z.B. bei Miteigentum an einem Grundstück oder bei Wohnungseigentümergemeinschaften.

Bei der Ermessensausübung hat die Behörde auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der schon in der gesetzlichen Ermächtigung erwähnt ist:

  • So wird die Behörde ermächtigte, den „teilweisen“ Abbruch anzuordnen. Reicht der teilweise Abbruch aus, um baurechtskonforme Verhältnisse herzustellen, wäre das Verlangen nach einem vollständigen Abriss unverhältnismäßig.
  • Des Weiteren soll der Abbruch nur verfügt werden, wenn nicht „auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können“.

So kann die materielle Rechtswidrigkeit einer baulichen Anlage z.B. durch die Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung beseitigt werden, ebenso durch die nachträgliche Bestellung einer Baulast.

Schließlich ist bei der Ermessensentscheidung auch der in Art. 3 Abs. 1 GG garantierte Gleichheitssatz zu berücksichtigen. Der Gleichheitssatz verbietet jedes willkürliche, nicht sachgerechte Behandeln gleicher Sachverhalte.

Betroffene berufen sich häufig auf den Gleichheitssatz, indem sie von der Behörde verlangen, auf den Abriss zu verzichten, weil der Nachbar auch „schwarz“ gebaut habe. Der Gleichheitssatz gebietet jedoch eine Gleichbehandlung im „Recht“ und nicht im „Unrecht“.

Voraussetzung ist zunächst, dass die zugrundeliegenden Sachverhalte auch tatsächlich vergleichbar sind. Eine Vergleichbarkeit ist z.B. nicht gegeben, wenn von zwei nicht genehmigten Vorhaben eines ohnehin in absehbarer Zeit einem Neubau weichen soll.

Der Gleichheitssatz verpflichtet die Behörde auch nicht dazu, gegen alle „Schwarzbauten“ im Stadtgebiet gleichzeitig vorzugehen oder den Bestand regelmäßig auf nicht genehmigte Vorhaben zu überprüfen.

So kann z.B. ein weiteres Vorgehen gegen „Schwarzbauten“ bis zum Ausgang eines Musterprozesses zurückgestellt werden.

Die Behörde ist auch berechtigt, ihre bisher praktizierte Duldung aufzugeben und teilweise nach mehreren Jahren vom Verpflichteten den Anriss des „Schwarzbaus“ zu verlangen. Auf eine Verwirkung des Beseitigungsverlangens kann sich der Betroffene ebenso wenig berufen wie auf Gewohnheitsrecht.

Die Rechtswirkungen der einmal erlassenen Abrissverfügung treffen auch den Rechtsnachfolger des Grundstückseigentümers, und zwar unabhängig davon ob es sich um Gesamtrechtsnachfolge (Erbschaft), Einzelrechtsnachfolge (Kauf) oder Erwerb in der Zwangsversteigerung handelt.